Gemäß § 61 Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz (ASGG) sollen arbeitsrechtliche Ansprüche schon nach Vorliegen des erstinstanzlichen Urteils vollstreckbar sein. Diese – vom Gesetzgeber her klare – Intention wird von der Judikatur jedoch äußerst restriktiv beurteilt. Dies zeigt eine jüngste Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien (OLG Wien).
JMKS erwirkte in I. Instanz einen Zuspruch von ausständigen Entgeltbestandteilen im Rahmen eines laufenden, nicht beendeten Arbeitsverhältnisses. Gemäß § 61 ASGG hemmt die Erhebung einer Berufung gegen ein Urteil I. Instanz jedoch unter bestimmten Voraussetzungen nicht den Eintritt der Vollstreckbarkeit und ist daher bereits ein erstinstanzliches Urteil exekutierbar.
Gemäß § 61 Abs 1 Z 1 ASGG sind jedenfalls Urteile über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und daraus abgeleitete Ansprüche auf das rückständige laufende Arbeitsentgelt, wie auch gemäß Z 2 Urteile über Ansprüche auf das bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses rückständige laufende Arbeitsentgelt bereits nach I. Instanz vollstreckbar.
Im gegenständlichen, nunmehr vom OLG Wien entschiedenen Sachverhalt waren die Ansprüche freilich verzwickter. Der von JMKS vertretene Arbeitnehmer war in einem laufenden Beschäftigungsverhältnis, wurden ihm aber im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses Entgeltbestandteile vorenthalten. Das Arbeits- und Sozialgericht Wien (ASG Wien) verweigerte aus diesem Grund die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen, klagsstattgebenden Urteils, da es zur Ansicht gelangte, dass der Streit nicht über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses und daraus resultierender Ansprüche abgeführt wurde (§ 61 Abs 1 Z 1 ASGG), da das Dienstverhältnis unstrittiger Weise ja nicht beendet war.
Das ASG Wien vermeinte weiters, dass eine Vollstreckbarkeitsbestätigung in weiterer Folge auch deswegen verweigert werden müsste, da im gegenständlichen Verfahren auch keine Ansprüche aus der Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses geltend gemacht werden (§ 61 Abs 1 Z 2 ASGG).
Gegen diesen Beschluss richtete sich der Rekurs an das OLG Wien aus den Gründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung.
JMKS argumentierte, dass die klare Intention des Gesetzgebers bei der Schaffung des § 61 ASGG es war, dass Arbeitnehmer rasch, nämlich schon nach Vorliegen der erstinstanzlichen Gerichtsentscheidung, zu rückständigen Entgeltansprüchen kommen sollen. Der Gesetzgeber hatte diesbezüglich die Hauptanwendungsfälle vor Augen, bei denen ein Beschäftigungsverhältnis möglicherweise unberechtigter Weise beendet wurde und die aufgrund der angefochtenen unberechtigten Beendigung ausständigen Arbeitsentgelte geltend gemacht werden (Z 1) oder aber, dass ein Arbeitnehmer Ansprüche nach der (berechtigten) Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses auf zum Zeitpunkt der Beendigung ausständigen Lohn hat (Z 2). Hauptanwendungsfall der Z 1 sind wohl jene Sachverhalte, bei denen eine ungerechtfertigte Entlassung oder Kündigung ausgesprochen wird und der Arbeitnehmer neben der Bekämpfung der Beendigung auch die Ansprüche aus dem laufenden, nicht wirksam beendeten Dienstverhältnis geltend macht.
Hauptanwendungsfall der Z 2 sind wohl jene Sachverhalte, bei denen Arbeitgeber über längere Zeit ihre Mitarbeiter nicht bezahlen und diese (berechtigt) austreten. Soweit diese Mitarbeiter die zum Zeitpunkt des Austritts rückständigen Entgelte klagsweise geltend machen, hat der Gesetzgeber eine klare Regelung geschaffen, dass auch in diesen Fällen bereits eine erstinstanzliche Entscheidung zur Vollstreckbarkeit ausreicht.
Die Rekursbegründung von JMKS führte aus, dass der Gesetzgeber den Fall, dass der Arbeitgeber zwar formell das Dienstverhältnis nicht beendet, der Arbeitnehmer allerdings nicht seinen vollständigen Lohn erhält und gleichzeitig dennoch nicht vorzeitig und berechtigt austritt, nicht berücksichtigt. Dies stellt aber jedenfalls eine ungewollte Gesetzeslücke dar, da ansonsten Arbeitgeber ein Druckmittel hätten, beispielsweise unkündbare Mitarbeiter (zB ältere Mitarbeiter im Bereich von Banken oder Versicherungen) durch Nicht-Lohnzahlung und dadurch durch wirtschaftlichen Druck zum vorzeitigen Austritt zu bewegen und müssten die Arbeitgeber nicht fürchten, nach dem Vorliegen eines erstinstanzlichen Urteils (was nach den Erfahrungen ohnehin zumindest ein Jahr in Anspruch nimmt) Zahlung leisten zu müssen, sondern durch die Erhebung einer Berufung dies erneut und weiter hinauszögern zu können.
Definitiv gestellte, ältere Mitarbeiter wiederum wären einem besonderen Druck ausgesetzt, wollte man ihnen die Last aufbürden, bis zur endgültigen Rechtskraft bzw bis zum Vorliegen einer zweitinstanzlichen Entscheidung mit der Geltendmachung von Gehaltsansprüchen zuzuwarten. Die Alternative, vorzeitig auszutreten, ist nämlich für ältere, definitiv gestellte Mitarbeiter keine taugliche, finden diese doch vermutlich nur sehr schwer einen – wenn überhaupt – vergleichbaren Arbeitsplatz. Das OLG Wien kommt in seiner nunmehrigen Entscheidung vom 31.1.2013 (9 Ra 139/12w) dennoch zum Schluss, dass der Rekurs unbegründet ist und die Verwehrung der Vollstreckbarkeit durch das ASG Wien berechtigt gewesen wäre.
Zunächst stimmt das OLG Wien der Argumentation von JMKS zu, dass als wesentliches Motiv der Bestimmung der Gesetzgeber vor Augen hatte, dass Arbeitsentgeltzahlungen möglichst rasch geleistet werden müssten.
Allerdings vermeint das OLG Wien, dass der Wortlaut der Z 1 und der Z 2 eindeutig sei und daher auf den gegenständlichen Fall jedenfalls nicht anwendbar ist, da zum einen nicht strittig sei, ob überhaupt das Dienstverhältnis beendet wurde und zum anderen eine unstrittige Beendigung und daraus resultierende Ansprüche ebenfalls nicht Sachverhaltselemente wären. Das OLG Wien vermeint, dass sich durch diese Differenzierung ergeben würde, dass der Gesetzgeber gerade nicht sämtliche aus einem Arbeitsverhältnis abgeleiteten Entgeltansprüche erfassen wollte. Es verneinte daher das Vorliegen einer planwidrigen, durch Analogie zu schließenden Lücke und verwies noch darauf, dass die Aufzählungen des § 61 ASGG taxativ seien und als Ausnahmebestimmung eng auszulegen wären, weshalb einer teleologischen Interpretation der Boden entzogen wäre.
Gegen die nunmehr vorliegende Rekursentscheidung des OLG Wien ist (leider) kein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof mehr möglich.
Die Entscheidung des OLG Wien ist enttäuschend, birgt sie doch die Gefahr in sich, dass Arbeitgeber sich gerade durch die langen Verfahrensdauern den wirtschaftlichen Druck, der auf Mitarbeitern, in deren Rechte eingegriffen wird, lastet, nunmehr noch besser zunutze machen können. Die Entscheidung des OLG Wien ermöglicht nunmehr, dass Arbeitgeber Zahlungen an unkündbare Mitarbeiter einstellen, deren Dienstverhältnisse aber (ohnehin unberechtigt) nicht beenden und durch geschickte Verfahrensverzögerung den unkündbaren Mitarbeiter dazu bewegen können, dass dieser notgedrungen zur Annahme eines neuen Beschäftigungsverhältnisses sein unkündbares Beschäftigungsverhältnis aufgibt. Immerhin darf nicht übersehen werden, dass der Arbeitgeber im von JMKS verhandelten Verfahren durch formale, wenngleich allesamt unberechtigte Einwände es schaffte, dass das erstinstanzliche Verfahren ca zweieinhalb Jahre in Anspruch nahm und war zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Vollstreckbarkeitserklärung ohnehin schon eine geraume, die meisten Arbeitnehmer weit überfordernde „Durststrecke“ zurückzulegen gewesen.
Freilich könnte der Gesetzgeber mit einer Änderung des § 61 ASGG diese Situation leicht abändern und damit allen Arbeitnehmern die Sicherheit geben, durch wirtschaftliches Aushungern letztlich nicht ihrer Rechte beraubt werden zu können.
Mag. Dominik Konlechner als am Verfahren Beteiligter