In der Entscheidung des Obersten Gerichtshof vom 15.12.2015 zu 4 Ob 180/15x verneinte der OGH einen Räumungsanspruch des bücherlichen Eigentümers gegen die Käufer und ehemaligen Mieter, die die gegenständliche Wohnung zunächst als Mieter und nach Ablauf des befristeten Mietvertrags unter Berufung auf den Kaufvertrag die Wohnung bewohnten – ohne den Kaufpreis bis dato bezahlt zu haben. Allerdings waren auch die Verkäufer nicht zur Erfüllung bereit. Das Recht des Rücktrittes nach § 918 ABGB steht nur dem vertragstreuen Teil zu.
Die Kläger, bücherliche Eigentümer der gegenständlichen Liegenschaft mit welchem Wohnungseigentum verbunden ist, vermieteten die Wohnung ab 1.10.2009 – befristet auf 5 Jahre – an die Beklagten.
Im Mai 2011 führten die Kläger mit den Beklagten Verkaufsverhandlungen über die Wohnung. Im Juli 2011 boten die Kläger den Beklagten – per Email – den käuferlichen Erwerb der Wohnung um den Preis von EUR 775.000 an. Die Beklagten nahmen das Angebot einen Tag später an. Die Beklagten erstellten daraufhin einen schriftlichen Vertragsentwurf, allerdings weigerten sich die Kläger diesen zu unterfertigen, mit dem Hinweis, dass der Sohn der Kläger Bedarf an der Wohnung habe und die Kläger daher Abstand vom Verkauf nehmen.
Mit Schenkungsvertrag vom 26./30.9.2011 schenkten die Kläger die gegenständlichen Liegenschaftsanteile ihrem Sohn. Dessen Eigentumsrecht wurde aufgrund eines am 11.10.2011 beim zuständigen Grundbuchsgericht eingelangten Antrags vorgemerkt.
Die Kläger wurden im Mai 2014 – durch das rechtskräftige Urteil des Oberlandesgericht Wien – dazu verpflichtet gegen Zahlung von EUR 775.000 Zug um Zug in die lastenfreie Einverleibung des Eigentumsrechts der Beklagten einzuwilligen.
Im Oktober 2014 brachten die Kläger Räumungsklage gegen die Beklagten ein, da das Bestandverhältnis im September 2014 erloschen sei und die Beklagten die Wohnung somit titellos benützen. Von den Beklagten sei der Kaufpreis weder erlegt noch angeboten worden, weshalb die Übergabe, gemäß dem nicht unterfertigten Vertragsentwurfs nicht als vollzogen gelte.
Die Beklagten beriefen sich auf den im Juli 2011 geschlossenen Kaufvertrag, welches mit dem Urteil des OLG Wien rechtskräftig festgestellt worden sei. Somit benützen sie die Wohnung seit Kaufvertragsabschluss aus dem Titel des Kaufvertrages und daher nicht titellos.
Der OGH äußerte sich dazu wie folgt:
Bei einer Räumungsklage gegen einen titellosen Inhaber macht der Eigentümer einen Herausgabeanspruch nach § 366 ABGB gelten. In solchen Fällen kann der beklagte Sachinhaber sein Recht auf Innehabung einwenden. Dieses Recht erstreckt sich sowohl auf dingliche als auch auf obligatorische Reche.
„Der Käufer ist obligatorisch zur Sachinhabung berechtigt, weshalb der innehabende Käufer der Vindikation des Veräußerers, der im Grundbuch noch als Eigentümer aufscheint, die Einrede aus dem Recht zum Besitz entgegenhalten kann.“ Das Eigentumsrecht des Verkäufers wird durch die obligatorische Verpflichtung gegenüber dem Käufer beschränkt.
„Da dem Räumungsanspruch auch das obligatorische Recht des innehabenden Käufers auf Übertragung des Eigentums entgegengehalten werden kann, kommt es bei der Einrede des Rechts zur Innehabung (bzw des Rechts zum Besitz) somit nicht darauf an, ob bereits eine nach sachenrechtlichen Kriterien zu beurteilende Übergabe vorliegt.“ Grundsätzlich wurde die Einrede dem Käufer auch dann zustehen, wenn er ohne Übergabe durch Eigenmacht in den Besitz der Kaufsache gekommen ist. Auch die Nichterlegung bzw Nichtzahlung des Kaufpreises steht der obligatorischen Berechtigung des Käufers zur Sachinhabung nicht entgegen.
Ein Vertragspartner kann sich nur dann auf die Leistungsverweigerung berufen, wenn er selbst zur Erfüllung bereit war bzw ist. Im gegenständlichen Fall wollte sich der Verkäufer vom Vertrag lösen, daher kann er sich nicht auf das Leistungsverweigerungsrecht berufen. Im konkreten Fall steht es dem Käufer zu die zu erbringende Leistung gemäß §1052 ABGB zurückzubehalten.
Fazit: Der Räumungsanspruch des Wohnungseigentümers gegenüber dem kaufenden Mieter scheitert schon deshalb, weil der innehabende kaufende Mieter obligatorisch zur Sachinhabung berechtigt ist. Bei Abgabe von (mündlichen oder schriftlichen) Verkaufs-/Kaufanboten ist stets zu beachten, dass ein gültiger Kaufvertrag bereits bei Einigkeit über die „essentialia negotii“ zustandekommt, sohin bei einer Einigung über Kaufsache und Kaufpreis. Ob ein danach erstellter Kaufvertragsentwurf mit allenfalls umfangreichen weiteren Bestimmungen unterzeichnet wird, ist nicht ausschlaggebend für das wirksame Vorliegen eines Kaufvertrags.