Entgegen der bisherigen ständigen Rechtsprechung des VwGH (vgl ua VwGH 22. 10. 1996, 94/08/0178; VwGH 10. 3. 1998, 95/08/0345) liegt eine (grenzüberschreitende) Arbeitskräfteüberlassung iSd AÜG nicht schon dann vor, wenn nur ein Tatbestand des § 4 Abs 2 AÜG erfüllt ist, selbst wenn die zu Grunde liegende Vereinbarung zivilrechtlich als Werkvertrag einzustufen wäre (vgl VwGH 22. 8. 2017, Ra 2017/11/0068).
Im gegenständlichen Revisionsfall war unter anderem strittig, ob die Vereinbarung zwischen den Parteien als („echter“) Werkvertrag zu qualifizieren sei. Beantwortet man diese Rechtsfrage ausschließlich nach der innerstaatlichen Rechtslage, so ist § 4 AÜG maßgebend, dessen Abs 1 eine Beurteilung nach dem „wahren wirtschaftlichen Gehalt“ und nicht nach der äußeren Erscheinungsform des Sachverhaltes vorsieht, und dessen Abs 2 für diese Beurteilung konkrete Kriterien anführt. § 4 AÜG soll die Umgehung der Bestimmungen dieses Gesetzes verhindern, sodass nach dem offensichtlichen Willen des nationalen Gesetzgebers jedes dieser Merkmale bereits für sich ausschlaggebend sein soll.
Die gegenständlich entscheidende Rechtsfrage ist allerdings nicht ausschließlich nach innerstaatlichem Recht zu beantworten. Von der Richtlinie 96/71 sind sowohl die grenzüberschreitende Entsendung als auch die grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung erfasst. Die Kriterien, die für die Arbeitskräfteüberlassung iSd der Richtlinie 96/71 entscheidend sind, sind insofern auch maßgebend für die Beurteilung, ob (grenzüberschreitende) Arbeitskräfteüberlassung iSd AÜG vorliegt.
Nach der EuGH-Entscheidung Martin Meat (C-586/13) ist für die Beurteilung, ob eine grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung vorliegt und daher der Meldepflicht des § 19 LSD-BG unterliegt, „jeder Anhaltspunkt“ zu berücksichtigen und der Sachverhalt somit unter mehreren Gesichtspunkten entsprechend dem „wahren wirtschaftlichen Gehalt“ zu prüfen. Es bedarf eindeutiger Sachverhaltsfeststellungen dahin, ob und welche der für die Arbeitskräfteüberlassung ausschlaggebenden Kriterien verwirklicht sind, um im Rahmen einer rechtlichen Gesamtbeurteilung fallbezogen das Vorliegen von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung bejahen oder verneinen zu können.
Im Speziellen sind dabei entsprechend dem Urteil Martin Meat die Fragen, ob die Vergütung/das Entgelt auch von der Qualität der erbrachten Leistung abhängt bzw wer die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt, ob also der für einen Werkvertrag essenzielle „gewährleistungstaugliche“ Erfolg vereinbart wurde, wer die Zahl der für die Herstellung des Werkes jeweils konkret eingesetzten Arbeitnehmer bestimmt und von wem die Arbeitnehmer die genauen und individuellen Weisungen für die Ausführung ihrer Tätigkeiten erhalten, von entscheidender Bedeutung.
Der Verwaltungsgerichtshof ist der Rechtsanschauung des EuGH (C-586/13) gefolgt und hat somit seiner Verpflichtung zur Durchsetzung des Unionsrechts Rechnung getragen, sodass es keiner Befassung eines verstärkten Senates infolge des Abgehens von einer früheren Rechtsprechung bedurfte (vgl das hg Erkenntnis vom 24. April 2013, Zl 2011/17/0156).