Aufgrund einer aktuellen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 2 Ob 48/19a wird in diesem Artikel der Fahrstreifenwechsel nach Reißverschlusssystem aus rechtlicher Sicht dargestellt.
Im gegenständlichen Fall kam es zu einem Schaden aufgrund eines Verkehrsunfalls, weil sich ein Verkehrsteilnehmer im Kolonnenverkehr gemäß Reißverschlusssystem in den daneben befindlichen Fahrstreifen einordnen wollte, er jedoch durch einen anderen Verkehrsteilnehmer daran gehindert wurde.
Eine sehr große Anzahl der Verkehrsteilnehmer ist der Ansicht, dass sie jedenfalls Vorrang auf dem weiterführenden Fahrstreifen haben, wenn es zu einer Zusammenführung mehrerer Fahrstreifen kommt und sich andere Verkehrsteilnehmer auf den weiterführenden Fahrstreifen einordnen wollen. Dies ist jedoch nicht richtig, wie in den folgenden Ausführungen zu sehen ist.
Zum Reißverschlusssystem
Es gibt eine Bestimmung in der österreichischen Straßenverkehrsordnung (StVO), nämlich § 11 Abs 5 StVO, die das Reißverschlusssystem regelt. Nach dieser Norm ist Fahrzeugen (abwechselnd!) der Wechsel auf den verbleibenden Fahrstreifen zu ermöglichen, wenn auf Straßen mit mehr als einem Fahrstreifen das durchgehende Befahren eines Fahrstreifens nicht möglich/zulässig ist (Reißverschlusssystem).
Dies bedeutet, dass Verkehrsteilnehmer sehr wohl verpflichtet sind, andere Fahrzeuge des endenden Fahrstreifens einen Wechsel auf den weiterführenden Fahrstreifen zu ermöglichen. Das Einordnen hat jeweils im Wechsel zu geschehen.
Dieses Reißverschlusssystem kommt nicht nur bei Verlegung eines Fahrstreifens (durch ein Hindernis), sondern auch bei (allmählicher) Verengung von zwei Fahrstreifen auf einen zur Anwendung. Jedoch setzt die Anwendbarkeit des Reißverschlusssystems Kolonnenverkehr voraus, wobei bereits je zwei Fahrzeuge genügen.
Zum Fahrstreifenwechsel
Wie nun die fachkundigen Verkehrsteilnehmer wissen, ist den Fahrzeugen auf einem endenden Fahrstreifen das Einordnen auf den weiterführenden Fahrstreifen zu ermöglichen. Jedoch ist hier natürlich zu beachten, dass ein Fahrstreifenwechsel nur dann durchzuführen ist, wenn dies ohne Gefährdung anderer Fahrzeuge möglich ist. Hier kann das Beispiel genannt werden, dass ein Fahrzeuglenker auf einen anderen Fahrstreifen wechselt, es jedoch dadurch zu einem Zusammenstoß mit einem anderen Verkehrsteilnehmer kommt, weil er sich nicht davon überzeugt hat, dass er den Fahrstreifenwechsel problemlos durchführen kann.
Für den Wechsel auf einen anderen Fahrstreifen gibt es daher eine weitere Bestimmung in der Straßenverkehrsordnung, § 11 Abs 1 StVO, wonach der Lenker eines Fahrzeugs den Fahrstreifen nur wechseln darf, nachdem er sich davon überzeugt hat, dass dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist.
Ein Fahrstreifenwechsel hat sohin zu unterbleiben, wenn die bloße Möglichkeit einer Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer gegeben ist. Eine solche Behinderung liegt bereits dann vor, wenn ein nachkommendes Fahrzeug zum Bremsen oder Auslenken genötigt wird.
Ein Lenker hat sich insbesondere zu überzeugen, ob der auf dem durchgehend befahrbaren Fahrstreifen Fahrende ihm das Einordnen ermöglicht. Ist Letzteres nicht der Fall, darf er den Fahrstreifen nicht wechseln.
Zur Entscheidung 2 Ob 48/19a
In dieser Entscheidung wurde insbesondere festgehalten: Wenn mehrere Fahrstreifen für eine Fahrtrichtung vorhanden sind, aber ein Fahrstreifen nicht weiter befahren werden kann, muss dem betroffenen Fahrzeuglenker gemäß § 11 Abs 5 StVO von den anderen Verkehrsteilnehmern der Wechsel des Fahrstreifens nach dem Reißverschlusssystem ermöglicht werden.
Diese Regelung befreit jedoch nicht von der Verpflichtung nach § 11 Abs 1 StVO, sich vor dem Fahrstreifenwechsel davon zu überzeugen, dass dadurch niemand gefährdet oder behindert wird. Daher darf der Fahrstreifen nicht gewechselt werden, wenn erkennbar ist, dass der auf dem anderen Fahrstreifen folgende Verkehrsteilnehmer das Einordnen nicht ermöglichen wird.
Im gegenständlichen Fall kam es zu einer Verschuldensteilung. Das Gericht hat entschieden, dass dem LKW-Lenker, der infolge einer groben Unaufmerksamkeit einem PKW-Lenker entgegen § 11 Abs 5 StVO nicht das Einordnen in seinen Fahrstreifen nach dem Reißverschlusssystem ermöglichte, das größere Verschulden trifft. Dem PKW-Lenker wurde vorgeworfen, dass er die Möglichkeit zum Fahrstreifenwechsel beim Blick in den Rückspiegel falsch einschätzte und damit gegen § 11 Abs 1 StVO verstieß.
Quellen:
Pürstl, StVO13 (2011) § 11
Kolmasch, Fahrstreifenwechsel nach Reißverschlusssystem, Zak 2019/610
OGH 25.07.2019, 2 Ob 48/19a